Veranstaltungen mit Aussteiger:innen

Zwischen "Freakshow" und politischer Bildung

Die Nachfrage nach Veranstaltungen mit oder der Vermittlung von Aussteiger:innen aus der (extremen) Rechten in Schulen, Jugendräumen, Fernseh- oder sonstigen Presse-Formaten ist nach wie vor hoch. Aus diesem Grund möchten wir nachfolgend als professionelle zivilgesellschaftliche Ausstiegsangebote hierzu Stellung nehmen:

Zunächst möchten wir auf eine Untersuchung des Landes Schleswig-Holstein zu Veranstaltungen an Schulen verweisen: „Schulbasierte Präventionsmaßnahmen von Aussteigern aus der rechtsextremen Szene“ von Antje Gansewig und Maria Walsh (PDF). Ergänzend zu der Studie sind hier einige Bedenken der Mitglieder des Nordverbundes aufgeführt, die sich aus praktischen Erfahrungen herleiten:

  • Der Einsatz von Aussteiger:innen birgt grundsätzlich das Risiko, dass beabsichtigte Präventionseffekte überstrahlt werden durch den Sensationseffekt, der von den biographischen Berichten ausgestiegener (extrem) Rechter auszugehen vermag.
  • Ein positiver Effekt für die Prävention ist durch den Einsatz von Aussteiger:innen bis dato nicht erbracht. Dem gegenüber steht das Risiko, dass ein:e eventuell eloquente:r und charismatische:r Aussteiger:in für insbesondere junge Menschen, die sich u.U. auf der Schwelle zum Einstieg in die (extrem) rechte Ideologie befindet, ein fragwürdiges Vorbild darstellt: Es besteht die Gefahr, dass vermittelt wird, man könne sich in die Szene begeben, dort engagieren und sich im Falle des Nichtgefallens wieder von der Szene abwenden und anschließend sich über den Einsatz in der Prävention Quellen u. a. für Selbstwert, Anerkennung und Aufmerksamkeit erschließen.
  • Die Expertise von Aussteiger:innen beschränkt sich in der Regel auf die eigene Biographie und deren Verwobenheit mit der (extrem) rechts orientierten Szene; das beinhaltet das Zeitfenster, in dem sie in szenische Kontexte involviert waren, die Zusammenhänge, denen sie angehörten, und die Interpretation der (extrem) rechten Ideologie, der zu Zeiten der Szenezugehörigkeit in dem lokalen oder regionalen Kontext en vogue waren. Allgemeine Aussagen sind vor diesem Hintergrund nur schwer zu treffen.
  • Darüber hinaus sind Aussteiger:innen auch immer nur Expert:innen für die eigene Ausstiegsgeschichte. Da Ausstiege aber ebenso individuell wie Einstiege sind, sind Verallgemeinerungen auch vor diesem Hintergrund nur schwer zu treffen.
  • Insbesondere ist jedoch zu berücksichtigen, dass sich in einer Gruppe Opfer oder Betroffene (extrem) rechter Praktiken befinden können, daher muss diese Perspektive in jedem Fall mit bedacht werden. Der Auftritt eines:r Aussteiger:in könnte unter diesen Voraussetzungen negative Effekte für die Betroffenen zeigen. Gleichzeitig sollten die Betroffenen sich nicht als solche outen müssen, hier muss die Privatsphäre gewahrt werden.
  • Nicht zuletzt ist eine finanzielle Förderung für Personen auszuschließen, die in ihrer Vergangenheit teils schwerste Gewalttätigkeiten begangen haben und nun mit dem Erzählen darüber ihren Lebensunterhalt verdienen.

 

Zur Vertiefung

Zur Vertiefung sei auf einen Artikel im Werkstattbericht 2.0 des Nordverbunds verwiesen: Authentisch, ehrlich, präventiv? Der Einsatz von Aussteiger:innen in der Bildungsarbeit von Ricarda Milke (PDF).

Die BAG Ausstieg zum Einstieg, der Dachverband der zivilgesellschaftlichen Ausstiegsberatungen, hat entsprechende Qualitätsstandards (PDF) für die Durchführung einer Veranstaltung formuliert. Weiterhin hat das Ausstiegsprogramm Nina NRW weitere Erläuterungen zum Thema (PDF) veröffentlicht.

Für Interessierte: „Wer hat Angst vor Ex-Nazis?“ Schwerpunkt in der TAZ (PDF).

 

Alternativen

Falls es den Bedarf gibt, sich mit der Biografie von Ausgestiegenen auseinanderzusetzen, ist die Biografie von Timo F., Neonazi, zu empfehlen. Zu diesem Buch gibt es pädagogisches Begleitmaterial, welches der Nordverbund Ausstieg Rechts gemeinsam mit der Aussteigerhilfe Rechts herausgegeben hat (PDF). In Kürze werden wir hier auch Podcasts mit Aussteiger:innen veröffentlichen, in denen insbesondere Hin- und Abwendungsmomente sowie Interventionsmöglichkeiten thematisiert werden.

Zudem hat der Nordverbund Ausstieg Rechts einen Werkstattbericht mit Rezensionen aktueller Biografien von Aussteiger:innen (PDF) herausgebracht, in dem Sie sich über verfügbare Bücher und Videos informieren können. Gleichzeitig werden sinnvolle Leitfragen für die eigene bzw. pädagogische Beschäftigung mit den Biografien formuliert und vertiefende Denkanstöße über Selbstinszenierungen und pädagogische Wechselwirkungen gegeben.

Da von den Zielen her ausgehend gefragt werden sollte, welcher Bedarf tatsächlich vorliegt, kommen auch andere sinnvolle Alternativen in Betracht. Bitte kontaktieren Sie daher gern uns oder Ihr regionales Ausstiegsangebot für ein klärendes Gespräch.